Vielleicht hast du es auch schon gehört oder gelesen: Im Juni 2025 tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Ein herrliches Ungetüm der deutschen Sprache. Aber was heißt das eigentlich? Und bist du, wenn du eine eigene Website hast, betroffen und musst etwas tun? Und wenn ja, was? Es herrscht viel Verunsicherung, was das Thema angeht, und ähnlich wie mit der Einführung der DSGVO haben viele Angst davor, etwas falsch zu machen.
Ich habe mich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigt. Dabei habe ich mich nicht nur mit den gesetzlichen Anforderungen auseinandergesetzt, sondern auch die praktischen Vorteile entdeckt, die eine barrierefreie Website mit sich bringen.
In diesem Artikel möchte ich das Thema für dich aufdröseln – und ihm den Schrecken nehmen. Denn 1. betrifft dich das Gesetz wahrscheinlich gar nicht so, wie du denkst und 2. ist deine Website sicher schon viel barrierefreier, als du glaubst.
Hast du schon einmal versucht, eine Website mit einem Screenreader zu lesen? Vielleicht nicht. Und das ist dir vielleicht auch zu abstrakt. Aber stell dir vor, du gehst in ein Restaurant, und die Speisekarte ist nur in winziger Schrift gedruckt, ohne Bilder der Gerichte. Du hast Schwierigkeiten, die Auswahl zu verstehen, während die anderen schon bestellen. Du bist frustriert und fühlst dich ausgegrenzt, weil du nicht in der Lage bist, Informationen zu verstehen, die für andere ganz selbstverständlich zugänglich zu sein scheinen. So fühlen sich viele Menschen, wenn sie auf eine nicht barrierefreie Website stoßen. Barrierefreiheit im Webdesign bedeutet, diese virtuellen Hindernisse abzubauen, damit jeder Zugang zu den Informationen und Diensten einer Website hat – egal welche Einschränkungen bestehen.
Barrierefreiheit im Webdesign sorgt also dafür, dass Websites für alle Menschen nutzbar sind – egal, ob sie körperliche Beeinträchtigungen haben, älter sind oder die Seite unter schwierigen Bedingungen nutzen (z.B. Sonneneinstrahlung). Es ist nicht nur ein simples “Ja” oder “Nein”, sondern eine Entwicklung, die verschiedene Stufen und Standards umfasst. Es gibt anerkannte Richtlinien, die als Orientierung dienen, um eine Webseite schrittweise barrierefrei zu machen.
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind die bekanntesten und am weitesten verbreiteten Richtlinien, die sicherstellen, dass Websites für alle Menschen zugänglich sind. Sie sind in drei Stufen unterteilt:
Stufe A (grundlegend)
Diese Stufe enthält die grundlegenden Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Webseite als “minimal barrierefrei” angesehen werden kann.
Zum Beispiel: Alternativtexte für Bilder und eine klare Überschriftenstruktur.
→ Das ist eigentlich nichts Neues und sollte auf allen Websites schon Standard sein.
Stufe AA (erweitert)
Die Stufe AA geht über die grundlegenden Anforderungen hinaus und stellt sicher, dass die meisten Barrieren beseitigt werden.
Zum Beispiel: ausreichendes Kontrastverhältnis, die Möglichkeit, Text zu vergrößern, und ein Responsive Design (angepasst auf Desktop, Tablet und Smartphone).
→ Diese Stufe wird häufig als Ziel gesetzt, da sie ein guter Mittelweg zwischen Umsetzbarkeit und umfassender Barrierefreiheit ist.
Stufe AAA (umfassend)
Die Stufe AAA stellt die höchsten Anforderungen an die Barrierefreiheit und ist oft schwer vollständig umzusetzen.
Zum Beispiel: Untertitel und Transkripte für alle Videos. Hier alles zu erfüllen ist oft nicht praktikabel für kleinere Unternehmen.
Warum ist Barrierefreiheit wichtig?
Auf den ersten Blick betrachtet ist es wichtig, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet viele Unternehmen, ihre Websites barrierefrei zu gestalten.
Aber erstmal durchatmen:
Es betrifft vor allem größere private Unternehmen und öffentliche Einrichtungen. Einzelunternehmer, B2B-Angebote und Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von maximal 2 Millionen Euro sind (bisher) nicht betroffen und müssen keine Strafen fürchten.
Aber: Auch für Kleinstunternehmer gilt, dass digitale Produkte, wie z.B. E-Books, barrierefrei zugänglich sein müssen. Das hat natürlich nur indirekt mit Websites zu tun, möchte ich aber an dieser Stelle trotzdem erwähnen, da sowohl 0-Euro-Produkte als auch digitale Produkte, die über Shops verkauft werden, Bestandteile von Websites sind.
Wenn du mehr wissen möchtest zu den Vorgaben für deine Produkte oder Produkte, die du für Kunden erstellst, findest du auf diesen beiden Seiten alle Infos ganz ausführlich: Bundesfachstelle-Barrierefreiheit.de und BFSG-Gesetz.de.
Verbesserte Benutzererfahrung
Eine barrierefreie Website ist klar und intuitiv, was die Frustration aller Benutzer reduziert. Große Schaltflächen, hoher Kontrast und klare Navigation helfen nicht nur Menschen mit Sehbehinderungen, sondern auch denen, die vielleicht keine technisch versierten Internetnutzer sind.
Breitere Zielgruppe
Barrierefreie Funktionen helfen auch Menschen mit vorübergehenden Einschränkungen, wie eine verletzte Hand oder vorübergehende Sehprobleme. Laut einer Studie der WHO leben weltweit über eine Milliarde Menschen mit einer Form von Behinderung. Indem du Barrieren abbaust, erreichst du mehr Menschen, die sonst vielleicht nicht auf deine Inhalte zugreifen könnten.
Bessere SEO
Websites, die barrierefrei gestaltet sind, laden oft schneller. Das liegt daran, dass sie mit sauberem Code und optimierten Bildern erstellt werden, um die Anforderungen für Screenreader und andere Hilfstechnologien zu erfüllen. Diese Geschwindigkeit ist nicht nur ein Geschenk für deine Besucher, sondern auch ein “SEO-Turbo”. Suchmaschinen wie Google lieben es außerdem, wenn Nutzer sich wohlfühlen, und belohnen barrierefreie (nutzerfreundliche) Websites mit besseren Rankings. Das verbessert nicht nur deine Sichtbarkeit, sondern zieht auch mehr Besucher an. Eine Studie von www.moz.com zeigt, dass Websites mit besserer Benutzererfahrung tendenziell höhere Suchmaschinenplatzierungen erreichen.
Inklusion und Vielfalt
Eine barrierefreie Website zeigt, dass du Vielfalt und Inklusion ernst nimmst. Eine benutzerfreundliche Seite stärkt das Vertrauen in dich, da Nutzer wissen, dass du ihre Bedürfnisse berücksichtigst. Und das Beste daran: Du schaffst eine Umgebung, in der sich jeder willkommen und unterstützt fühlt.
Praktische Tipps zur Umsetzung
Struktur und Navigation
Eine klare und logische Struktur ist das A und O einer barrierefreien Webseite. Nutze Überschriften (H1, H2, H3 usw.) sinnvoll und hierarchisch korrekt, um den Inhalt zu gliedern. Dies hilft nicht nur Screenreader-Nutzern, sich besser zurechtzufinden, sondern auch allen anderen Besuchern.
Alternative Texte für Bilder
Bilder können für Menschen mit Sehbehinderungen eine Hürde darstellen. Stelle sicher, dass alle Bilder mit aussagekräftigen Alternativtexten (Alt-Tags) versehen sind. Diese Texte werden von Screenreadern vorgelesen und geben so den Bildinhalt wieder.
- Alt-Tags: Beschreibe den Inhalt des Bildes kurz und prägnant.
- Dekorative Bilder: Für rein dekorative Bilder kannst Du leere Alt-Tags (alt=””) verwenden.
Farbkontraste
Ein ausreichender Kontrast zwischen Text und Hintergrund ist entscheidend für die Lesbarkeit. Achte darauf, dass die Farbgestaltung Deiner Webseite den Mindestkontrastanforderungen entspricht.
- Kontrastprüfung: Nutze Tools wie den Colour Contrast Checker, um sicherzustellen, dass der Kontrast ausreichend ist.
- Farbenblindheit: Vermeide Farbkombinationen, die für farbenblinde Menschen schwer zu unterscheiden sind.
Multimedia-Inhalte
Das gehört schon in die Königsklasse der Barrierefreiheit (AAA), aber wenn du es möglich machen kannst: Stelle für Videos und Audios Untertitel oder Transkripte bereit. Dies ermöglicht es Menschen mit Hörbehinderungen, den Inhalt zu erfassen.
Formulare
Formulare sollten so gestaltet sein, dass sie für alle Nutzer*innen einfach auszufüllen sind. Achte auf eine klare Beschriftung der Formularelemente und Fehlermeldungen, wenn ein Feld nicht ausgefüllt wurde.
Einfache Sprache
Verwende eine klare und verständliche Sprache, um die Inhalte für alle Nutzer*innen zugänglich zu machen. Vermeide Fachjargon und komplizierte Satzstrukturen.
- Klare Sprache: Schreibe kurze und einfache Sätze.
- Strukturierung: Nutze Absätze, Listen und Zwischenüberschriften, um den Text zu gliedern.
Testen und Feedback einholen
Regelmäßige Tests helfen dir, die Barrierefreiheit Deiner Webseite immer wieder mal zu prüfen und auf Stand zu bringen. Dafür kannst du Tools nutzen, und bitte evtl. Nutzer mit Behinderungen um Feedback.
- Automatische Tests: Nutze Tools wie WAVE, um Barrierefreiheitsprobleme zu identifizieren.
- Benutzer-Feedback: Hole aktiv Feedback von Menschen mit Behinderungen ein und optimiere die Webseite kontinuierlich.
Durch die Umsetzung dieser praktischen Tipps machst du bereits einen großen Schritt in Richtung Barrierefreiheit und machst deine Website für möglichst viele Nutzende zugänglich.
Fazit
Barrierefreies Webdesign ist nicht (nur) etwas, das man tun muss, weil ein Gesetz es verlangt. Es zeigt, dass du dich wirklich um alle Besucher kümmerst. Und eine barrierefreie Website ist nicht nur inklusiv, sondern auch benutzerfreundlich und letztlich erfolgreicher, weil sie eine breitere Zielgruppe erreicht.
Denn: Im Grunde ist Barrierefreiheit nichts anderes als Nutzerfreundlichkeit in “1+ mit Sternchen”. Viele Maßnahmen, wie Alt-Texte für Bilder, Überschriftenhierarchie, kontrastreiche Farben und einfache Sprache sind Dinge, die Webdesigner sowieso als selbstverständlich sehen und umsetzen. Also fangen wir in der Regel nicht bei Null an und müssen Barrierefreiheit nicht als etwas Neues sehen, was wir zusätzlich umsetzen.
Solltest du Fragen zur Barrierefreiheit auf Websites haben, kannst du mir gern eine Nachricht schreiben oder über LinkedIn Kontakt mit mir aufnehmen.